Mutter

Am 22. Geburtstag meiner ältesten Tochter bin ich auf einen spannenden Artikel über ein Buch gestossen, welches Generationen geprägt hat. "Mutter", stand da auf der ersten Seite und ich fühlte mich angesprochen. Die Tochter von Johanna Haarer beschreibt im Interview ihre Beziehung zur Mutter, welche 1934 den Ratgeber: "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind" schrieb. Das Buch, welches bis in die Achtzigerjahre verkauft wurde und ein riesiger Erfolg war,  propagiert eine unerbittliche Erziehung, welche nationalsozialistischen Ideen entsprang. Ihre Mutter habe im Alter von acht Jahren ihren Vater in Kneipen suchen müssen und schämte sich für den schwankenden, nach Bier riechenden Vater (S. 26). Später habe sie selber ihre Ängste mit Alkohol und Tabletten verdrängt (S. 29). 

Johanna Haarers Erziehung sei weder aussergewöhnlich grausam noch aussergewöhnlich liebevoll gewesen. Sie propagierte eine strenge Erziehung des Kindes von Anfang an. Mutter und Kind sollen direkt nach der Entbindung getrennt werden. Nachts gelte: schreien lassen. Sie empfahl, das eigene Kind nicht sofort in den Arm zu nehmen, um es zu trösten. "Mit ihrem Buch habe Haarer, so heute eine gängige Sichtweise vieler Autoren, den perfekten, gehorsamen, gefühllosen Menschen für das nationalsozialistische System erziehen wollen" (S. 21).

Ein abwesender Vater, eine harte Mutter mit einer Erziehung ohne Zärtlichkeit, so habe die Tochter von Johanna Haarer ihre eigene Kindheit erlebt. Die Tochter habe selber als erwachsene Frau lernen müssen, ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen (S. 30).

(vgl: https://www.zeit.de/zeit-magazin/2019/39/gertrud-haarer-tochter-ns-erziehung-zweiter-weltkrieg-deutschland-mutter; Zugriff: 29.9.2019)

Meine eigene Grossmutter schrieb in einem mir überlieferten Text: "Erziehung ist das Schwierigste, was es gibt". Und ich finde, Sie hat recht, weil Erziehung auch viel mit der eigenen Persönlichkeit und Biographie zu tun hat. Sich damit auseinanderzusetzen ist nicht ganz einfach. Falls wir es aber vermeiden, wird uns die Vergangenheit einholen. 

Dieser Artikel über Johanna Haarer hat mich ins Nachdenken gebracht. Nicht weil ich eine unerbittliche Erziehung erfahren habe, sondern weil ich mich stark mit dem Thema feinfühlige Erziehung auseinandersetze. Mehr dazu in einem weiteren Blog.